Am 11. November 2022 fand der Poetry Jam in Lehsten statt – einige Texte haben wir hier veröffentlicht…
der letzte Schritt / Jasmin
Vergangenheit
brennt auf der Haut
suppt aus allen alten Narben
dieses Leben
fragwürdiges Zirkeln um unbekannte Brandung
doch seewärts liegt Landunter
die Gischt schlägt ins Gesicht
bricht in unendlichen Regenbogen
das Herz eisern
wie nur Seide aus der Träume sind
zäh festgekrallt am Guten
noch in jedem Weh unterlegen
ein windiges Wimmern
Zukunft komm schonungslos
in wilden Farben
zeig, es wird gut sein
aufzugeben
befreie
nimm alle Räume
greif nach allen Dimensionen
gib den letzten Zweifel auf
mit Dir Zukunft in Neuland an Ufer treten
Schmerz der alten Tage nachts ertränken
hingegeben nur der Zeit, die immer ran ist
heilsam
irgendwann bereitwillig
Jetzt gewagt
und dann
mit Füßen im Meer
der Liebe sicher sein
und Allem
die Welle kommt
die Woge gehtHeute nicht / Jasmin
Blick gegen Decke
wach
Wecker ringt
nicht bewegen
müssen
Federbetten halten warm
aufgerafft
rausgeschmissen
in den Tag
funktionieren
kann nicht schaden
alles fad
Arbeit schaffen
Listen machen
reichlich Kaffee
nicht viel reden
besser machen
Pflicht getan
kaum ein Lachen
leer das Blatt
Innovation Standby
kreativ
bestimmt bald wieder
kein Genörgel
fairer Schweigen
allein
nicht einsam
angemessen
flüchtig gehen
tut ganz gut
dämpfig durch die Wiesen
ein Glas Wein
auf den Frieden
lass die Dinge liegen
Rauchzeichen
annehmen
abzulehnen
doch was Essen
kaum zu schmecken
Farben fassen
will nicht glücken
Bücherseiten flattern träge
dann halt Ruhe, ohne Licht
Welt komme morgen wieder
heute nichtAusgeflogen / Saskia
Endlich fallen
Und mit Farben in den Federn
Ins Gegenüber gleiten
Nicht makellos doch demaskiert
Am Morgen also mit den Möwen
Ins namenlose Nichts aufbrechen
Den Rost von den Rätseln kratzen
Und den Spuren folgen
Wie eine Tänzerin im Trommel-
Wirbel Wirklich werden
Den Wind durchqueren
Und endlich
FallenSchwimmen / Saskia
Wir trafen uns bei Nacht. Nackt sind wir einmal durch den See geschwommen. Danach haben wir uns verschiedene Zukünfte ausgedacht und uns schließlich auf eine geeinigt.
Heute sitze ich am Ufer und warte auf dich. Es sind viele Jahre vergangen und das Später, in dem wir uns hier wieder treffen wollten, ist zum Jetzt geworden.
Ich bin ein bisschen früher gekommen und genau wie damals kommst du wahrscheinlich ein bisschen später. Unsere Körper sind älter geworden, unsere Gefühle vervielfacht, unsere Gedanken unzählbar.
Gleich werden wir wissen, was von unserer damals beschlossenen Zukunft übrig geblieben ist und woran wir noch arbeiten müssen. Gleich wird das Hier zu einem doppelten Ort werden, zu einer vierfachen Erfahrung aus
dir, mir, damals und heute.
Ich seh dich kommen, seh dich mir zulächeln, ganz genau gleich lächeln wie damals und kurz kann ich die Zeiten nicht mehr auseinander halten.
Gleich werden wir alles erfahren: Was war und was sein wird.
Aber vorher gehen wir noch schwimmen.
Die Autorinnen
Jasmin Glause wurde in Mecklenburg geboren, ist dort aufgewachsen und hat bis jetzt immer wieder hierher heimgefunden. Für kurze oder längere Weilen zog es sie doch auch in die Ferne: mit dem Rucksack zum Weltwandern, in die Städte zum Studieren und oft nach Skandinavien. Das Schreiben begleitet sie von Kind an. Immer weil es schön war, aber auch als wichtiges Hilfsmittel um Gelebtes, Beobachtetes und Gefühltes zu verarbeiten. Die Natur, die Tiere und die Phantasie waren dabei ihre engsten Verbündeten und prägen ihre sprachlichen Bilder.
Saskia Kühn wurde in Sachsen geboren, ist in Rheinland-Pfalz aufgewachsen und in Berlin groß geworden. Seit ein paar Jahren lebt sie mit Familie in Halle an der Saale und sucht immer wieder das Weite in Mecklenburg Vorpommern. In Sprache und Sprachen fühlt sie sich seit jeher wohl und schreibt hier und dort, vor allem in Gruppen, inspiriert von Impulsen und den Wörtern der Anderen.